Integrationsplan der Landesregierung
Der Facharbeitskreis Migration des Paritätischen NRW mit unserem Sprecher Frank Staacken äußert sich zum geplanten Integrationsplan der Landesregierung in einer Stellungnahme:
Vorbemerkung
Der Facharbeitskreis Migration des Paritätischen NRW begrüßt, dass sich der Landtag in NRW mit der Integration und Teilhabeförderung von geflüchteten Menschen beschäftigt und Vorschläge für die Erarbeitung eines Integrationsplanes vorlegt. Wir weisen gleichzeitig darauf hin, dass die Anträge der Fraktionen wichtige Bereiche der Integrationsförderung nicht oder nur unzureichend berücksichtigen. Der Paritätische NRW beteiligt sich an den Stellungnahmen der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Mit der vorliegenden Stellungnahme des Facharbeitskreises fokussieren wir uns auf die Rolle und Funktion von Migrantenselbstorganisationen im Teilhabe- und Integrationsprozess.
Voranstellen wollen wir zwei grundsätzliche Anmerkungen zum Integrationsplan für NRW:
1. Es ist auffallend, dass Themen wie Maßnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit und Kriminalität sowie die schrecklichen Ereignisse in der Silvesternacht in Köln in einen direkten Zusammenhang zur Aufnahme von schutzsuchenden Menschen und Integration von Flüchtlingen gestellt werden. Damit wird pauschal und undifferenziert ein abschreckendes Szenario geschaffen: Schutzbedürftige Menschen werden als potentielle Straftäter, als eine Bedrohung wahrgenommen, die es abzuwehren gilt. Darüber hinaus ist die an vielen Stellen geforderte Wertevermittlung und Werteorientierung für geflüchtete Menschen – insbesondere in Bezug auf jugendliche Flüchtlinge – pauschal und diskriminierend. Eine solche flüchtlingspolitische Haltung wird unweigerlich zur Verstärkung von Islamophobie und Rassismus, letztendlich zur Ausgrenzung von Flüchtlingen und anderen Minoritäten in der Mehrheitsgesellschaft führen.
2. Die paritätischen Mitgliedsorganisationen in der Migrations- und Integrationsarbeit weisen ebenfalls darauf hin, dass Flüchtlinge bereits seit langem eine wichtige Zielgruppe der Aktivitäten und Maßnahmen sind. Die derzeitige Fokussierung der Integrationspolitik auf geflüchtete Menschen darf allerdings nicht dazu führen, dass die bisherigen Integrationsleistungen und hier lebenden Menschen mit
Migrationshintergrund vernachlässigt werden. Eine nachhaltige und sozialraumorientierte Integrationspolitik richtet sich an alle zugewanderten und hier geborenen Menschen – mit und ohne Migrationshintergrund. Migrantenselbstorganisationen: (k)ein Thema für den Integrationsplan? Migrantenselbstorganisationen sind ein Teil der Aufnahmegesellschaft und gehören zur bundespolitischen Realität. Sie tragen als Interessenvertreter und Träger sozialer Dienstleistungen eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung und sind ein
selbstverständlicher Teil einer pluralen Zivilgesellschaft.
Migrantenselbstorganisationen sind Hauptakteure der Migrations- und Integrationsarbeit und können neben den landesgeförderten Kommunalen Integrationszentren und Integrationsagenturen als dritte Säule in der Integrationspolitik in NRW angesehen werden. Am 14.02.2012 hat sich das Land NRW ausdrücklich dazu verpflichtet, mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration, den veränderten Bedarfen und den unterschiedlichen Entwicklungen von Migrantenselbstorganisationen Rechnung zu tragen. Zudem werden Migrantenselbstorganisationen seit 1997 vom Land NRW gefördert – ab 2014 wurde sogar ein explizites Förderprogramm für Migrantenorganisationen aufgelegt – und durch die seit 2000 agierende landesweite „Fachberatung MigrantInnenselbsthilfe“ werden derzeit ca. 500 Migrantenselbstorganisationen beraten und qualifiziert.
Es ist daher unverständlich, warum Migrantenselbstorganisationen mit ihren Potentialen und Integrationsleistungen im Integrationsplan gänzlich vernachlässigt werden. Im vorliegenden Antrag auf einen Integrationsplan werden sie lediglich an
einer Stelle zur inneren Sicherheit erwähnt. Dies steht im konträren Widerspruch zu ihrer integrativen Rolle.
Partizipations- und Integrationsleistungen von Migrantenselbstorganisationen für Migrantinnen und Migranten sowie geflüchteten Menschen Brückenfunktion Sie leisten bei der Integrationsförderung in NRW einen bedeutenden Beitrag, indem sie eine Brückenfunktion zwischen Aufnahme- und Zuwanderungsgesellschaft erfüllen. Sie haben einen besseren Zugang zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund, genießen Vertrauensvorschuss, nehmen deren Interessen und Bedarfe wahr und vertreten diese nach außen (Mitsprachemöglichkeit). Sie fördern den interkulturellen (und interreligiösen) Dialog, und das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlicher Herkunft in einem gemeinsamen Sozialraum. Gerade für Flüchtlinge bieten Migrantenselbstorganisationen vielfach einen geschützten Raum für den gemeinsamen Erfahrungsaustausch und erleichtern somit ihr Ankommen in NRW.
Interkulturelle Öffnung
Durch die Zuwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland ist derzeit die interkulturelle Öffnung als Querschnittsaufgabe gefragt wie nie zuvor. Die Nachfrage nach interkulturellen Trainings ist nicht nur im sozialen Bereich, sondern in der öffentlichen Verwaltung, in Behörden, im Gesundheitssektor, in Schulen und Hochschulen gestiegen. Diesen Nachfragen können Migrantenselbstorganisationen
mit ihrem Erfahrungsschatz gerecht werden und Berührungsängste abbauen und kulturelle Vielfalt als Bereicherung nahe bringen.
Bildung und kulturelle Bildung
Zur Verbesserung der Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen bieten Migrantenselbstorganisationen Elternkurse, Informationsveranstaltungen und Bildungslotsen für Eltern an. Kinder und Jugendliche erhalten Nachhilfeunterricht und werden z.B. an Studienfahrten beteiligt. Kulturelle Angebote in den Bereichen Literatur, Tanz, Musik und Film fördern die kulturelle Teilhabe. Für die Zielgruppe der Flüchtlinge werden spezielle Programme und Projekte umgesetzt. Die allgemeinen Maßnahmen der interkulturellen Kinder- und Jugendarbeit richten sich selbstverständlich auch an geflüchtete Kinder und Jugendliche.
Sprach- und Kulturmittler
Gerade in der Arbeit mit Flüchtlingen ist der Bedarf nach Sprach- und Kulturmittlern sehr groß. Gerade auch Migrantenselbstorganisationen bieten diese Unterstützungsleistung an und unterstützen Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlinge bei Behördengängen und der Erkundung des Sozialraums.
Antirassismus- und Antidiskriminierungsarbeit
Antirassismus- und Antidiskriminierungsarbeit ist ein zentraler Bestandteil der Integrationsarbeit – auch von Migrantenselbstorganisationen. Die Zunahme von rechter Gewalt und fremdenfeindlichen Einstellungen in der Gesellschaft ist eine
besorgniserregende Entwicklung. Gerade Flüchtlinge sind Vorurteilen, Anfeindungen und Übergriffen ausgesetzt. Daher müssen die vielfältigen Aktivitäten von Migrantenselbstorganisationen in diesem Bereich besonders gestärkt und unterstützt werden.
Unterstützungsleistungen durch Regeldienste, Projekte und das Ehrenamt
Neben der ehrenamtlichen Arbeit übernehmen Migrantenselbstorganisationen Regeldienste und -einrichtungen in der Migrations- und Integrationsarbeit (z.B. als Flüchtlingsberatungsstelle, Integrationsagentur, Migrationserstberatung) sowie in anderen Feldern der sozialen Arbeit (z.B. als Bildungswerk, in der Arbeitslosenberatung und Erziehungshilfe sowie in der psychosozialen Beratung).
Migrantenselbstorganisationen sind Träger von Projekten zur Integrationsförderung, Maßnahmen wie Integrationskurse und Sprachkurse für Migrantinnen und Migranten sowie geflüchtete Menschen sorgen für sprachliche und somit gesellschaftliche Integration. Migrantenselbstorganisationen sind zudem Träger von Flüchtlingsunterkünften und übernehmen die soziale Betreuung von Flüchtlingen.
Initiierung von Austausch- und Begegnungsorten
Durch den Betrieb von interkulturellen Anlaufstellen und Begegnungsorten wird der Austausch zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern im Sozialraum sowie den geflüchteten Menschen befördert. Diese Begegnungen schaffen ein besseres Verständnis für deren Situation und führen zum Abbau von Vorurteilen. Zudem schaffen solche Begegnungsorte niedrigschwellige Sprachanlässe für Flüchtlinge Forderungen des Facharbeitskreises Migration im Paritätischen anlässlich des Antrages auf einen Integrationsplan für NRW
1. Gesellschaftliche Anerkennung der Migrantenselbstorganisationen
Migrantenselbstorganisationen mit ihren hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind eine wichtige Säule in der Migrationssozialund Flüchtlingsarbeit. Sie engagieren sich für Integration und Teilhabe und gestalten so den Zusammenhalt in NRW. Daher müssen sie mehr im Fokus der Integrationspolitik stehen. Es gilt, ihre Leistungen viel mehr anzuerkennen und zu würdigen. Dies muss sich in einem Integrationsplan für NRW widerspiegeln. Es ist aus unserer Sicht notwendig, dass sie mit ihren Leistungen und Kompetenzen in den verschiedenen Handlungsfeldern der Integrations- und Teilhabeförderung berücksichtigt werden.
2. Mitwirkung und Einbezug von Migrantenselbstorganisationen
Ein Integrationsplan kann nur gelingen, wenn Flüchtlinge selbst oder ihre Interessenvertreter über eine gemeinsame Zukunft mitreden und mitentscheiden können. Nur eine flüchtlingsgerechte und teilhabeorientierte Integrationspolitik kann dafür Sorge tragen, dass einzelne Gruppen keiner Stigmatisierung und Ausgrenzung in der Gesellschaft ausgesetzt werden. Um über die tatsächliche Situation der
Flüchtlinge Erfahrungen und Einschätzungen einzuholen, muss die Integrationspolitik mit Migrantenselbstorganisationen und Flüchtlingsorganisationen stärker als bisher zusammen arbeiten.
3. Weitere Förderung zur Stärkung der Migrantenselbstorganisationen
Mehr Teilhabe und Verantwortung für das Gemeinwohl können Migrantenselbstorganisationen nur realisieren, wenn sie über verbesserte und stabile Strukturen verfügen. Daher muss die bisherige Form der Förderung von Migrantenselbstorganisationen weiterentwickelt werden. Eine nachhaltige Strukturförderung ist unerlässlich. Weiterhin ist eine Stärkung und Erweiterung der Beratungs- und Qualifizierungsangebote für Migrantenselbstorganisationen erforderlich. Hierfür ist eine Erhöhung der Fördermittel für Migrantenselbstorganisationen zwingend notwendig.
21.04.2016
Facharbeitskreis Migration Paritätische NRW
Sprecherin und Sprecher:
Elina Chernova
Kenan Kücük
Frank Staacken